Wilberth, sein Bluebird und die Wackel-Eule

Eine Mischung aus Hupgeräuschen, Feuerwehr- und Polizeisirenen, ertönt. Wilberth hat den Rückwärtsgang eingelegt. Der gelb-grüne Bluebird schaukelt etwas und setzt sich schließlich mit einem glucksenden Stöhnen in Bewegung.

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Szenen wie diese gehören zum Standard, wenn man in Nicaragua Bus fährt. Dabei ist schon der erste Eindruck eines “Chicken Busses” – so der Spitzname der Ungetüme – ein ganz besonderer: Es handelt sich um alte, ausgemusterte, nordamerikanische Schulbusse, die technisch nicht nur an den harten mittelamerikanischen Straßenalltag sondern auch farblich an das bunte Flair hierzulande angepasst wurden. Die Busse sind sowohl auf Kurz- als auch auf Langstrecken anzutreffen.

Die Fahrt im “Chicken Bus” gestaltet sich entsprechend abenteuerreich: Zu nennen sind das ständige Rütteln, die dauernden Hupgeräusche, die klemmenden Fenster, das von der Karibik-Sonne aufgeheizte Blech, der aufgewirbelte Staub und die gelegentlich vom Bus mitgenommenen Ästlein, die bei rasanter Fahrt gerne im Fenster hängen bleiben. Dazu kommt das dichte Gedränge im Inneren, bei dem die von den Bluebird-Erfindern angedachte Anzahl der transportierten Personen gerne mal verdoppelt oder gar verdreifacht wird. Kontakt mit Einheimischen ist hier also definitiv garantiert!

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In Wilberths Bus geht es zwar nicht ganz so kuschelig zu – nichts desto trotz ist auch eine Fahrt in seinem Bus ein einmaliges Erlebnis. Schließlich hat Wilberth viel Liebe ins Detail gesteckt: Ein Multimedia-System (ganz wichtig: 1.200 Watt), äußerliche Blinklichter, sowie die blauen LEDs an den Rückspiegeln verleihen dem alten Bluebird einen modernen Anstrich. Auf dem Kühlergrill sind zudem zwei einander´zugewandte, sich räkelnde, metallerne, nackte Frauen montiert.

Im Inneren wartet außerdem eine lustige Eule, die im karibischen Rhythmus der durch das angesprochene Multimedia-System lautstark verbreiteten Reggeaton-Musik an der Windschutzscheibe baumelt. Hinzu kommen rote, pornös anmutende Ledergarnituren im Rautenstyle, sowie eine Türöffnungs-Mechanik aus dem vorherigen Jahrhundert, die ihresgleichen sucht.

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Das alle Details ihren Platz behalten – darauf passt Amada (Name redaktionell geändert) auf. Wilberths immertreue Frau weicht nicht von der Seite ihres Göttergatten und sorgt mit ihrem Wischmopp dafür, das hinterlassende Chaos der Insassen abzumildern.

Dabei bewundert sie gemeinsam mit den Sitzenden die Fahrtkünste Wilberths. Der schreckt nämlich weder vor nächtlichen Highspeed-Passagen auf kurvigen, von Wildwechsel gezeichneten Landstraßen, noch vor kopfsteingepflasterten Innenstadt-Fahrereien auf engstem Raum, noch vor Feldwegen zurück, die in der Heimat höchstens mit ballonbereiften Traktoren befahren würden.

All in all bleibt festzuhalten: Eine Fahrt im “Chicken Bus” könnte aufgrund des schnell angesammelten Anekdoten-Reichtums einen ganzen Roman füllen. Und auch Wilberth und sein Bluebird sind eine  entsprechende Bereicherung für die gesamte Exkursion, schließlich stehen sie sinnbildlich für das “Bus-Erlebnis Nicaragua”.

von Werner Müller-Schell

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