Radio zwischen See und Vulkan

Geisterstunde in Las Penitas. Ein halbnackter Dieb läuft um sein Leben. Bewaffnete Polizisten marschieren auf. Mädchen kauern am Boden, Tränen fließen. Menschen irren aufgeregt am Strand herum und buddeln im Sand. Die schwarzen Wellen des Pazifischen Ozeans rollen mit lautem Rauschen auf die Sandbänke. Streundene Hunde beginnen zu bellen und die Ortsbewohner lugen neugierig aus ihren Fenstern. Menschen fluchen. Verzweiflung macht sich breit, Zorn hängt in der Luft. Wanted: Mann in Unterhose.

 

Tausche Schnee gegen Sand

Die ersten Sommersprossen sprießen auf unseren Nasen, Gallo Pinto essen wir mittlerweile schon zum Frühstück und Flor de Cana fließt in unseren Adern: Wir sind also angekommen im lateinamerikanischen Nicaragua und haben auch die Lebensweisen schon so gut wie möglich verinnerlicht.

Aber immerhin sind wir auch schon eine ganze Woche in diesem wunderschönen Land. Sonne, Strand und Meer haben uns ein permantentes Lächeln auf unsere Gesichter gemalt, schöne Aussichten über die Dächer von Leon und Granada ließen unsere Reisenden-Herzen höher schlagen. Die noble Salzburger Blässe ist einem (noch) schüchternen braunen Teint gewichen. Anorak und Wollsocken wurden gegen Bikini und Flip Flops eingetauscht. Die Flucht vorm Winter ist vorerst prima gelungen!

Erlebt haben wir natürlich auch schon einiges. Die Tour startete offiziell mit einem Meet & Greet mit unseren nicaraguanischen Studienkollegen der UNAN in Leon. Reiseleiter Will zeigte uns außerdem die Hot Spots der Stadt, ließ uns den Geist der Sandinistischen Revolution spüren und führte uns auf das Dach der Basilica de la Asuncion , wo wir glaubten, im Himmel gelandet zu sein. Wir tanzten nachts zu den Liedern der  Revolution und schlürften Nica Libre beim Sonnenuntergang. Auch der Vulkan Cerro Negro, der eine Stunde entfernt Leon in Atem hält  (immerhin wäre er laut Will längst “überfällig”…), war vor uns nicht sicher. Mit Will kletterten wir über Vulkangestein bis zum Krater, um von dort auf einem Holzbrett herunterzurodeln. Am Abend gab’s dann eine gemütliche Strandparty in Las Penitas, welche allerdings eher ungemütlich endete. Zwei Handys, eine Geldtasche und eine Kamera mussten daran glauben, als sich ein betrunkener Kerl, nur mit Unterhose bekleidet, einen Spaß erlaubte. Und die Moral von der Geschicht: Sachen unbeaufsichtigt liegen lassn tut man nicht. Oder so. Aber die Hälfte der Dinge wurde wieder gefunden, die Tränen getrocknet und somit ging’s am nächsten Tag gleich heiter weiter.

 

“es libre, es pasion”

Nach einem Stopp bei den Entwicklungsprojekten “cetech” und “chica” stand dann Granada am Programm. Die 100.000 Einwohner große Stadt begeistert vor allem durch ihre Lage: Einerseits liegt sie nämlich am Fuße des Vulkans Mombacho und andereseits am Ufer des Lago de Nicaragua, dem größten Süßwasserreservoir Zentralamerikas. Hier angekommen führte uns unser erster Weg zum casa de los tres mundos. Schon beim Betreten fällt einem auf: Hier steht alles im Zeichen der Kunst. Die Wände sind mit großflächigen Gemälden geschmückt, seitlich kann man in bunte Ateliers spähen und im Innenhof hatten ein paar brave MusikschülerInnen ihre Lehreinheit auf Tuba, Klarinette und Co. Am hinteren Ende des Gebäudes kündigten dann ganz andere Klänge unseren next stop an: Das Team des Radio Volcan empfing uns mit offenen Armen und führte uns in die Kunst des nicaraguanischen Radiomachens ein. Und eines sei gesagt – die Mädls und Burschen hier stellen tagtäglich Großartiges auf die Beine. Von sieben in der Früh bis neun Uhr abends unterhalten sie Granada und Umgebung mit ihren abwechslungsreichen Programmen (alles live, wohlgemerkt!), wobei 102.9 “the frequence to be” ist. Von Techno bis zu romantischen Latino-Balladen ist hier alles dabei und sogar für die Nachrichten recherchieren die RedakteurInnen eigne Storys. Doch nicht nur das: Radio Volcan bildet auch JournalistInnen aus und macht dabei aus schüchternen NicaraguanerInnen mutige ReporterInnen mit starken Stimmen – und davon durften wir uns selbst überzeugen, als uns der Sportreporter eine beeindruckende und vor allem amüsante Kostprobe gönnte. Spätestens da kam klar und deutlich rüber, welche Leidenschaft hinter all dem steckt.

Und auch sonst ist  Radio Volcan sehr vorbildlich unterwegs. Regionale Künstler werden gefördert und mit dem Projekt “pencil & notebook” versorgt man arme Schulkinder mit den nötigen Schreibwaren für die Schule. Gegründet wurde die Radiostation übrigens von zwei Österreichern. Und auch das casa de los tres mundos, welches hier vor allem bei finanziellen Fragen eine große Rolle spielt, ist deutschsprachig gefärbt – immerhin ist hier der Chef ein Deutscher. Die “tres mundos”, also drei Welten, sind demnach Nicaragua, Deutschland und ein drittes gemeinsames Land, wo wir alle gleichberechtigt sind und es keine Rang-Unterschiede oder ähnliches gibt. Und dieses Land, in dem wir alle harmonisch miteinander leben, findet man eben hier im casa de los tres mundos. Außer dem genannten deutschen Herren gibt es jedoch niemanden, der dem Radio sagen kann, was es zu tun und lassen hat. Radio Vulcan ist nämlich ein freies Radio und darauf auch sehr stolz. “Es libre, es pasion”, flüsterte ein Reporter in der hinteren Reihe, als es zu diesem Thema kam. Sie sind somit auch unabhängig von diversen Vorstellungen der Regierung, was in Nicaragua ebenfalls eine entscheidende Rolle spielt.

Zum Abschluss waren wir dann sogar noch selbst auf Sendung und konnten den Bewohnern Granadas mit “Ein Prosit” den Tag versüßen.

Lauschen kann man den Programmen von Raduio Volcan übrigens weltweit, Internet sei Dank.

 

Mittlerweile haben wir Granada und den schier unendlichen Nicaragua See wieder hinter uns gelassen und machen uns im knallgelben “chicken bus” auf den Weg nach Bluefields. Mit dabei sind auch der bärtige Francesco von Loro Trips und seine Freundin Marianka aus Polen, die sich mit uns Mädls in den entlegensten Orten am Weg immer auf die Suche nach einem Klo macht und außerdem die einstimmig ernannte Karaoke-Queen numero uno ist.

 

Wir kehren dem Westen nun also vorerst den Rücken zu und freuen uns auf den Atlantik und ein bisschen Insel-Hopping in der Karibik. Gar nicht so schlechte Aussichten, wenn man bedenkt, dass Österreich gerade im Schnee versinkt.

Miriam Steiner

2 thoughts on “Radio zwischen See und Vulkan

  1. Casa de los 3 Mundos, Granada
    Die Casa de los 3 Mundos ist das grösste mittelamerikanische Kulturzentrum und wurde vom im Vorjahr verstorbenen österreichischen Talkmaster, Entertainer und Schauspieler Dietmar Schönherr sowie dem nicaraguanischen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal via die Stiftung Pan & Arte gegründet.
    Die Leitung der Casa obliegt Dieter Stadler, ein Oberösterreicher.
    Die Stiftung Pan & Arte hat ihren Sitz in Deutschland.
    Radio Vulcan wurde und wird vom deutsch/österreichischen Kabaretisten Ulrich Salamun (“Maschek”) mitinitiert und vor Ort mitaufgebaut.
    Derzeit findet das jährliche zweit groesste (nach Medellin) lateinamerikanische Poesiefestival in Granada statt mit über 120 Poeten aus Lateinamerika und Übersee.

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