Rama Cay – Mein erster Kulturschock

Mit den im Folgenden beschriebenen Eindrücken, welche uns auf unserem Zwischenstopp von Bluefields nach Laguna de Perlas erwarteten, hatte niemand von uns gerechnet… Ich selbst wusste nicht, wo wir anhalten werden und hätte niemals erwartet, dass wir an dieser Insel, welche mich schon beim Näherkommen positiv, sowie negativ ergriff, anlegen werden. Rama Cay – eine (auf Google Maps nicht eingezeichnete) Insel, deren Einwohner sich weitestgehend selbst versorgen und hauptsächlich vom Fischfang leben. Beim ersten Blick auf die Insel, noch aus dem Boot heraus, fielen mir zuerst die im Wasser stehenden Toiletten und Holzhütten auf, genauso, wie ich es aus Dokumentarfilmen solcher Inseln kenne. Es kam mir vor, als wären wir mit einer Zeitmaschine 200 Jahre in die Vergangenheit gereist.

Unsere erste Anlaufstation war die Kirche der Rama, in welcher uns der Pfarrer zuerst einen Überblick über die derzeitige, leider sehr bedauerliche Situation der Insel verschaffte: Die nicaraguanische Regierung plant grundsätzlich neben einer Vereinheitlichung der nicaraguanischen Bevölkerung und ihrer Lebensweisen und somit mehr oder weniger einer Auflösung der indigenen Völker auch mit der chinesischen Regierung zusammen den Bau eines Kanals etwas nördlich der Insel. Dieser würde jedoch eine Vielzahl an negativen Folgen, wie die Zerstörung der dort bestehenden Natur und eine große Umweltverschmutzung mit sich bringen, was natürlich den Rama widerstrebt. Doch auch die Tatsache, dass der Kanalbau in Planung ist, ohne dass die betroffenen Völker gefragt wurden, obwohl sie eigentlich Anspruch auf ihr Gebiet haben, ärgert die Bevölkerung der Insel. Die Regierung versucht kläglich, die Rama auf ihre Seite zu ziehen und friedlich zu stimmen, indem sie Bauarbeiter aus Managua nach Rama Cay schickt, um für die Bevölkerung dort Häuser zu bauen, die die Rama bewohnen können. Dieses scheinbare Entgegenkommen seitens der Regierung ist jedoch auch gefährlich, da durch die Betonhäuser beim Auftreten eines Hurrikans ein viel größerer Schaden entstehen würde als mit den Holzhäusern der Rama. Diesbezüglich äußerte sich der Pfarrer dadurch, dass diese durch Bauarbeiter Managuas gebauten Häuser sowieso nur kurzweilig bestehen werden, da sie nach der Zerstörung durch den nächsten Windsturm wieder ihre gewohnten Holzhäuser bauen werden.

Mit etwas feuchten Augen verließen wir die Kirche, um einen Rundgang quer durch die Insel zu machen. Während wir durch die engen, sandigen Wege spazierten, fielen mir ganz besonders die vielen Kinder auf, welche alle draußen in und mit der Natur spielten und lachten. Zwar waren die Kinder vermutlich auch aufgrund unserer Anwesenheit etwas aufgedrehter als sonst, jedoch kam mir ihre Freude sehr authentisch vor. Hin und wieder wurden wir von einigen Kindern sogar angeredet und sie haben sich bereit erklärt, Fotos mit uns zu machen. Andere hatten jedoch große Angst vor der Kamera und waren sehr scheu. Auch bemerkte ich bei den erwachsenen Einwohnern ähnliche Unterschiede: Einige von ihnen waren sehr freundlich und freuten sich daran, uns ihre Hütten zu zeigen – andere jedoch starrten uns nur mit grimmigen Gesichtern an und erinnerten uns wieder daran, dass wir „Eindringlinge“ sind. Insgesamt ging ich also mit sehr gemischten Gefühlen durch die Insel.

Beim Rundgang hatten wir in kleinen Gruppen die Möglichkeit, ein Stück weit in den Alltag der Rama einzutauchen, indem wir ihre Hütten besichtigten durften. Die meisten jüngeren Bewohner erfreuten sich daran, uns zu erklären, welche Zimmer wofür genutzt werden, wie man welche Speisen zubereitet, oder welches Familienmitglied welche Aufgabe trägt. Die Älteren kamen mir eher verängstigt vor, als wollten sie schnellstmöglich wieder ihre Ruhe haben… An einer Hütte kamen jedoch fast alle von uns vorbei und hatten die Ehre, gegen drei Córdobas ein einheimisches Gebäck zu kosten, welches ein dreieckiges Teigtäschchen gefüllt mit gewürzten Kokosnussraspeln darstellt und sich „Pica“ nennt. Uns allen hat dieses einfache Gebäck sehr gut geschmeckt.

Teilweise sah man auf der Insel einige Hütten, welche sich noch am Anfang des Baus befanden: Obwohl die Konstruktionen nur aus einigen tragenden Holzpfosten bestanden, sahen sie erstaunlich stabil aus. Die handwerklichen Tätigkeiten waren jedoch nicht nur im Bereich des Hüttenbaus beeindruckend: Die simplen Errichtungen der Kochstellen beispielsweise, oder allgemein die Verwendung fast ausschließlich natürlicher Ressourcen begeisterte mich sehr. Bei uns bräuchte man höchstwahrscheinlich langjährige Übung und Erfahrung, um auf einer solchen Insel zu überleben. Da jedoch seit einigen Jahren auch bei den Rama westliche Produkte angekommen sind, liegt bedauerlicherweise aufgrund des niedrigen Umweltbewusstseins bereits viel Plastikabfall herum.

Auch die vielen frei umherlaufenden Tiere waren auf Rama Cay (und auch im Laufe des weiteren Exkursionsverlaufes) besonders auffällig: Schweine, Hühner, Hunde, Kühe und Katzen waren so gut wie immer in unserem Blickfeld. Wie ich es empfunden habe, war leider ein großer Teil der Tiere, besonders die Hunde, krank und einige lagen sogar im Sterben.

Am Ende unseres Rundgangs versammelten sich die meisten von uns wieder am Steg. Auf eine kleine Gruppe jedoch mussten wir ca. noch eine halbe Stunde warten, da sie bei einer Familie gelandet war, welche sie so herzlich aufgenommen hatte, dass sie nicht mehr loskamen. Als auch die restlichen von uns zu uns an den Steg stoßen, erzählten sie uns begeistert von den Kindern, welche sich so extrem freuten, mit ihnen zu spielen und der Familie, die ihnen stolz ihre Lebensweise näherbringen wollte. Wir stiegen also wieder zurück in unser Boot und machten uns auf nach Laguna de Perlas.

Da nun bereits einige Tage nach unserem Ausflug auf Rama Cay vergangen sind, kann ich das Geschehene etwas objektiver einschätzen, als unmittelbar nach dem Besuch. Für mich war dieser Ausflug eindeutig ein „Kulturschock“, da ich nie zuvor ein solches größtenteils von Subsistenzwirtschaft lebendes Volk gesehen habe und mich das Einfache und Schlichte, an weit zurückliegende Jahrhunderte Erinnernde hochgradig ergriffen und fasziniert hat. Dieser Stopp stellte sich im Laufe der nächsten Tage als „Aufwärmphase“ für die Besichtigungen der anderen indigenen Völker dar und war für mich am prägendsten.

 

Andjelika Eissing-Patenova

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